LEGO® Education zieht dem EV3 den Stecker. Nach den Sommerferien wird nun auch die LEGO® Education Version des EV3 (45544) aus dem Programm genommen. Sie folgt damit dem Privat-Set 31313, das es schon seit letztem Jahr nicht mehr zu kaufen gibt. Das Ganze ist erst einmal nicht überraschend, denn ein neuer Roboter löst damit im normalen Rhythmus den alten ab. Aber das Wie der ganzen Geschichte und die Art, in der LEGO® den EV3 bisher dargestellt und sein Vorgehen kommuniziert hatte, sorgen für viele Fragen. Einige davon haben wir bereits in unserem FAQ zu EV3 und SPIKE™ Prime beantwortet. Hier wollen wir jetzt aber noch einen genaueren Blick auf den SPIKE mit seinen Vorzügen und Nachteilen werfen.

SPIKE™ Prime für alle

Der neue Star in der LEGO® Robotik-Welt ist der LEGO® Education SPIKE™ Prime (45678). Einige werden sich jetzt denken: „Wie, den gibt es doch schon seit 2019!?“. Das stimmt, und wir haben euch den SPIKE™ Prime vor gut eineinhalb Jahren in unserem Test bereits ausführlich vorgestellt. Wer den Test liest, wird feststellen, was LEGO® damals kommuniziert hat. Nämlich, dass der SPIKE™ Prime für die Klassen 5-8 gedacht sei und sich damit zwischen WeDo 2.0 und EV3 einreiht. Nach damaligem Stand sollte für die Altersgruppe von Klasse 9 bis Oberstufe der EV3 der Roboter der Wahl bleiben. Diese Aussage gilt nun jedoch nicht mehr. Der SPIKE™ Prime ist nun der Roboter ab Klasse 5 und für die komplette weiterführende Schulzeit. Wir bei brickobotik finden sogar, dass der SPIKE in bestimmten Fällen auch schon ab Klasse 3 eingesetzt werden kann.

Wie oben erwähnt, gibt es bei LEGO® manchmal zwei Varianten desselben Roboters. Dies gilt sowohl für den SPIKE™ als auch für den EV3. Die Home-Variante des SPIKE™ Prime verbirgt sich hinter dem Namen „LEGO® Mindstorms® Roboter Inventor 5 in 1“. Näher vorgestellt haben wir euch dieses Modell bereits letztes Jahr.

LEGO® Education und LEGO® Home

Diese teilweise Doppelung kommt daher, dass LEGO® Education und LEGO® Home unterschiedliche und größtenteils voneinander unabhängige Tochterfirmen der LEGO®-Gruppe sind. Die Zielgruppe von LEGO® Education sind klar Bildungseinrichtungen. Hier steht Lernen mit LEGO® im Vordergrund – vom Kindergarten bis zur Universität. LEGO® Home richtet sich hingegen an Privatkund*innen und legt den Fokus deshalb unserer Meinung nach eher auf Spiel und Spaß. Dazu kommen noch weitere Unterschiede, z.B. dass die Themen Langlebigkeit und Support für LEGO® Education in der Arbeit mit Bildungseinrichtungen klar einen höheren Stellenwert haben als für LEGO® Home.

Für den „Spiel-und-Spaß-Faktor“ haben die Home-Varianten von EV3 und SPIKE™ Prime z.B. eine Abschussvorrichtungen für Wurfgeschoße und die Roboter können mit der beiliegenden Fernbedienung oder via App ferngesteuert werden. Beides ist bei der Education-Variante nicht vorgesehen. Auch die vorgegeben Modelle legen hier eher Wert darauf, MINT-Wissen zu vermitteln und ergeben keine „coolen“ Roboter, die kämpfen oder auf geheimer Mission sind.

Probleme für Schulen

Schulen haben nun drei Probleme. Erstens stellt LEGO® Education nach den Sommerferien den Verkauf von EV3-Sets und auch von EV3-Zubehör komplett ein. Spätestens wenn die Regale aller Zwischenhändler leer sind, gibt es hier also keinen Nachschub mehr. Zweitens wird die bekannte EV3-Software bald nicht mehr funktionieren. Sie basiert auf einem Framework namens Silverlight, das nach aktuellem Stand von Microsoft nur noch bis Oktober 2021 unterstützt wird. Drittens haben erste Wettbewerbe bereits angekündigt, in Zukunft nur noch den SPIKE™ Prime zu nutzen. Zum Glück gehört die WRO nicht dazu. Langfristig wird aber der SPIKE™ Prime der Roboter werden, auf den die Aufgaben bei Robotikwettbewerben mit LEGO®-Robotern im Allgemeinen abgestimmt sind. Welche Wettbewerbe unter welchen Corona-bezogenen Bedingungen 2021 überhaupt stattfinden, hat Vera euch hier zusammengefasst.

LEGO® Education hat zum Glück vor dem Einstellen des EV3 die komplett neue Software „EV3 Classroom“ auf den Markt gebracht, die wir euch in einem eigenen Artikel noch einmal genauer vorstellen und mit der SPIKE™-Software vergleichen werden. Die Software kann aber bei weitem nicht alles – einen Blockimport oder Firmware-Updater gibt es z.B. nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben. Und auch in anderen Punkten verliert sie gegen die Software des SPIKE™ Prime. Für Schulen, die weiterhin mit EV3s arbeiten wollen oder müssen, bietet sie aber gute Möglichkeiten. Wie man die neue Firmware des EV3 aufspielt, haben wir euch hier gezeigt

EV3 und SPIKE im Vergleich

Vergleichen wir nun also einmal den „neuen alten“ SPIKE™ Prime mit dem alten EV3. Diesen Vergleich hatten wir in unserem ursprünglichen Test vermieden, weil der SPIKE™ Prime damals eben nicht als Ersatz für den EV3 dargestellt worden war.

Betriebssystem

Fangen wir mit dem Betriebssystem an. Der SPIKE™ Prime arbeitet mit MicroPython und ist damit sehr schnell beim Booten. Auf dem EV3 läuft ein Linux-System, bei dem das Booten ca. 30 Sekunden dauert. Danach muss man außerdem die Bluetooth-Verbindung umständlich einstellen, während sie sich beim SPIKE™ direkt aufbaut.

Verbindungsmöglichkeiten

Die Verbindungsmöglichkeiten sind beim SPIKE™ Prime USB und Bluetooth Low Energie. Beim EV3 gibt es noch die Möglichkeit der Verbindung per WLAN, aber nur mit einem entsprechenden Dongle. Einen Test zu Bluetooth-Dongles und ihrer Kompatibilität mit LEGO®-Robotern findet ihr hier.

Anschlüsse

Der SPIKE™ Prime hat sechs Anschlüsse, die sowohl für Motoren als auch für Sensoren genutzt werden können. Der EV3 hat hingegen vier feste Ports für Motoren und vier für Sensoren. In der Summe gibt es also zwei Anschlüsse mehr, dafür sind diese nicht flexibel einsetzbar.

Sensoren

EV3 und der SPIKE™ haben beide je einen Farb- und einen Ultraschallsensor. Im EV3-Set gibt es zwei Berührungssensoren, während der SPIKE™ nur einen mitbringt. Dafür hat dieser auch noch einen integrierten Kraftmesser. Ein weiterer Pluspunkt für den SPIKE™ ist, dass bei ihm der Lagesensor im Hauptbaustein („Smart-Hub“) verbaut ist und nicht wie beim EV3 extra angebracht werden muss.

Weitere Unterschiede findet ihr in der folgenden Tabelle:

EV3 SPIKE™ Prime
Motoren

großer Motor

 

2 im Basis-Set enthalten

Geschwindigkeit: 160 rpm
Drehmoment: 20 Ncm

1 im Basis-Set, 1 im Erweiterungsset enthalten
Geschwindigkeit: 175 rpm
Drehmoment: 8 Ncm
mittlerer Motor 1 im Basis-Set enthalten
Geschwindigkeit: 240 rpm
Drehmoment: 8 Ncm
2 im Basis-Set enthalten
Geschwindigkeit: 135 rpm
Drehmoment: 3.5 Ncm
Sensoren Berührung Einfacher analoger Sensor; unterscheidet zwischen gedrückt und losgelassen Abtastrate: 100 Hz
Berührungsmessung: 0-2 mm
Kraftmessung; 2-8 mm
Genauigkeit: +/- 0,65 N
Ultraschall Abtastrate: 67 Hz
Auflösung: 1 mm
Max. Entfernung: 255 cm

Abtastrate: 100 Hz
Auflösung: 1 mm
Max. Entfernung: 200 cm

4 programmierbare LED-Segmente

Gyro

Ein-Achsen-Gyro

 

externer Sensor

Abtastrate: 1000 Hz
Genauigkeit: +/- 3 Grad
Max. Rate: 440 Grad/Sekunde

hat Probleme mit Drift

Sechs-Achsen-Gyro
(Drei-Achsen-Lagesensor +
Drei-Achsen-Beschleunigungssensor),

eingebaut in den Smart-Hub

 

 

keine Drift-Probleme

Farbe

Abtastrate: 1000 Hz
Optimale Entfernung: 4-12 mm (= 0,5 – 1,5 LEGO®-Module)

Erfasste Farben: 7

Abtastrate: 100 Hz
Optimale Entfernung: 16 mm (= 2 LEGO®-Module)

 Erfasste Farben: 8

Smart-Hub

Linux-basiert

300 MHz ARM9 Prozessor,
64 MB Speicher

Monochromes Display (178 x 128)

4 Ports für Sensoren + 4 für Motoren

NXT/EV3 Stecker

5 Tasten auf dem Hub

USB-Host-Port

USB-Client und Bluetooth zum Verbinden mit dem PC

Hochfahren: ca. 30 Sekunden
Herunterfahren: ca. 25 Sekunden

Austauschbarer Akku; kann außerhalb des Hub geladen werden

MicroPython Embedded OS

100 MHz M4 Prozessor,
32 MB Speicher

LED-Matrix (5×5)

6 Ports für Motoren und Sensoren

LEGO Power Functions 2.0 (LPF2) Stecker

2 Tasten auf dem Hub

kein USB-Host-Port

USB-Client und Bluetooth/BLE 4.2 zum Verbinden mit dem PC

Hochfahren: ca. 5 Sekunden
Herunterfahren: ca. 3 Sekunden

Austauschbarer Akku; kann nur im Hub geladen werden

Trotz seines Alters verliert der EV3 nicht in allen technischen Aspekten gegen den SPIKE™ Prime. So ist bei ihm z.B. die Abtastrate, also die Häufigkeit, mit der ein Sensorwert abgefragt wird, bei manchen Sensoren größer. Das macht sich gerade bei Wettbewerben bemerkbar, wenn diese „Spritzigkeit“ besonders benötigt wird.

Dass der SPIKE™ Prime MicroPhyton nutzt, ist eigentlich eine coole Sache. Ich als Entwickler für eingebettete Systeme bemerke aber die Trägheit des Systems, die Python bei etwas anspruchsvolleren Aufgaben nun einmal mit sich bringt. Das ist der Preis dafür, dass das System „so einfach“ zu benutzen ist: im Hintergrund sind sehr viele Programmschritte notwendig. Das verlangsamt anspruchsvollere Projekte wie die Programmierung eines gleitenden Mittelwerts über 100 Werte extrem. Der verbaute Mikrocontroller kann so etwas eigentlich in Millisekunden. Der SPIKE™ Prime benötigt hingegen mehrere Sekunden. Das ist natürlich nicht der eigentliche Fokus des SPIKE™ und darum eher ein Punkt am Rande, aber er zeigt die Schwächen des Systems. Und gerade Universitäten haben auch gerne ausgefallene Algorithmen auf dieser einfachen Hardware getestet.

Ein kritischer Blick

Was halten wir denn nun vom LEGO®-Robotik-Flaggschiff für den Education-Bereich? Zunächst einmal: Der SPIKE™ Prime ist ein sehr guter Roboter. Er hat viele gut durchdachte didaktische Konzepte, die sich wunderbar in unseren AGs und Robotik-Workshops anwenden lassen. Auch die Hardware ist für sich selbst betrachtet ein richtig gutes Gesamtwerk, das in dieser Abstimmung mit der passenden Software auf dem Markt keinen direkten Konkurrenten findet.

Bei allem Lob muss man allerdings auch eingestehen: Der*die Hardware-Enthusiast*in sieht schnell, dass hier noch mehr Potenzial drin gewesen wäre. Ein Beispiel ist das Display: Wie cool wäre es gewesen, das monochrome Display des EV3 für den SPIKE™ in modern und farbig zu gestalten? Außerdem hätte man deutlich leistungsstärkere ARM-Prozessoren verwenden können, die ohne MicroPython auch noch deutlich schneller arbeiten würden.

Zielgruppe vs. Möglichkeiten?

Hier kommen wir jedoch zu einem Spannungsfeld, für das sich auch noch weitere Beispiele finden lassen könnten: hardwareseitige Möglichkeiten vs. didaktischer Mehrwert. Der SPIKE™ Prime ist nun einmal vor allem für seine Zielgruppe gemacht und das sind Schüler*innen von Klasse 5 bis 13. Und deshalb kann man argumentieren, dass eine 5×5-LED-Matrix für diese Zielgruppe eben viel greifbarer ist als ein Display, das einen deutlich höheren Programmieraufwand benötigt. Was man auf der einen Seite als Anpassung an eine bestimmte Zielgruppe und als Abbauen von Einstiegshürden ins Programmieren sehen kann, bedeutet auf der anderen Seite aber eben auch eine Einbuße an technischen Möglichkeiten und eine Reduktion an Programmierspielraum. Wegen seiner vielen Möglichkeiten wird der EV3 auch an vielen Hochschulen als Lernplattform genutzt. Und dieses Gefühl von „Der kann eigentlich viel zu viel für das, was ich damit machen will“ beim EV3 hat eben gerade die Kinder gefördert, die etwas außergewöhnliches mit ihrem LEGO®-Roboter erreicht haben. Meiner Meinung nach fangen hier eigentlich erst die spannenden Themen an, die beim EV3 auch durchaus schon bei Robotikwettbewerben benötigt wurden. Der SPIKE™ bringt also allen Kindern in der Klasse die Basics bei und das macht er gut, aber für viel mehr geht ihm wegen schwächerer Motoren, weniger Anschlüssen, Problemen bei komplexem Code u.ä. schnell die Puste aus.

Probleme im Schuleinsatz

Und ein weiteres Manko möchte ich hier auch noch ansprechen: Abgesehen von den inhaltlichen Aspekten der SPIKE™-Software, die wir in einem gesonderten Artikel betrachten werden, gab es gerade in der Anfangsphase einige technische Schwierigkeiten. Innerhalb eines Jahres hat LEGO® Education sehr viele Updates herausgebracht, allerdings nicht unbedingt überall gleichzeitig. Teilweise kamen Versionen auf dem PC heraus, die auf dem iPad erst noch ein paar Tage auf sich warten ließen. Außerdem verwalten viele Schulen in Deutschland ihre iPads und PCs nicht selbst bzw. es muss ein Admin kontaktiert werden, wenn Updates durchgeführt werden sollen. Das konnte dann dazu führen, dass die App nicht mehr mit der Firmware auf dem SPIKE™ funktionierte, denn sobald ein Update für den SPIKE™ verfügbar ist, muss es installiert werden, sonst macht der SPIKE™ gar nichts mehr. Die neue Version erst später zu installieren, wie früher beim EV3, funktioniert hier also nicht. Um ganz sicher zu gehen, dass alles funktioniert, müsste eine Lehrkraft deshalb eigentlich am Tag vor der AG o.ä. jeden Roboter einzeln überprüfen. Auch die Frage, welcher SPIKE™ Prime gerade mit welchem iPad verbunden ist, kann zu Problemen führen, denn trotz Benennung zeigen sich die Hubs meist mit ihrer MAC-Adresse und die steht erst einmal nicht auf jedem SPIKE™-Hub drauf. 30 Hubs mit 30 Tablets zu verbinden, macht deshalb einfach keinen Spaß. Da steigt man dann vielleicht doch lieber wieder auf den PC um. Wenn dieser denn mit Windows 10 läuft…

Fazit

Der LEGO® Education SPIKE™ Prime ist ein sehr guter Roboter für den Einstieg in die Programmierung. Er hat ein gutes didaktisch durchdachtes System und macht für seine Zielgruppe alles richtig. Mir als Hardwareenthusiast und Betreuer mehrerer Schüler-AGs, die auch an Wettbewerben teilgenommen haben, fehlt aber einfach der Mehrwert, den der LEGO® Mindstorms® EV3 spielerisch noch bot. Technische Schwierigkeiten erschweren außerdem teilweise das Arbeiten mit dem SPIKE™ – hier besteht aber Hoffnung, dass LEGO® nachbessert.